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Die Heimatwerker in Nieheim

Carlotta Tonveronachi hat sich auf den Weg in den äußersten Osten Nordrhein-Westfalens gemacht. Nach Nieheim. Dort arbeiten geflüchtete Menschen an einem Bauprojekt mit. Was gut läuft und was verbesserungswürdig ist hat sie zusammengetragen.

Diesen März fuhr ich zum ersten Mal nach Nieheim, ein Ort gut versteckt in der Region Ostwestfalen-Lippe.

Von Köln aus mit dem ÖPNV anzufahren bedeutet 3 Stunden Fahrt und 5 Mal Umsteigen. Mich zog es dort hin, weil ich über das UrbanLab-Magazin der Hochschule OWL von den „Heimatwerkern“ erfahren hatte. Es handelt sich dabei um ein Flüchtlingsprojekt, bei dem die Flüchtlinge selbst, zusammen mit Studierenden der Hochschule-OWL und Anwohnern, ein altes Ackerbürgerhaus sanieren.

Das Haus soll ein multifunktionaler Ort der Begegnung werden. Hier sollen unter anderem bis Ende 2018 eine Gemeinschaftsküche, eine Gemeinschaftswerkstatt und weitere Räume für den Austausch zwischen Geflüchteten, Einheimischen und anderweitig Interessierten entstehen. Bei der Sanierung steht nicht nur das erhoffte Resultat im Fokus der Arbeit, vielmehr lautet die aktuelle Devise „der Weg ist das Ziel“. Der gemeinschaftliche Bau dient nämlich dem Erwerb von beruflichen Einstiegsqualifikationen für Flüchtlinge und als Praktikum für Studierende der Hochschule.

Das Haus gehört einer Erbengemeinschaft und wird von ihnen für (vorerst) zehn Jahre zur Verfügung gestellt. Initiiert wurde das Projekt von der Landesinitiative StadtBauKulturNRW. Durchgeführt wird es nun in Kooperation mit der Stadt Nieheim und der Hochschule-OWL. „Pilotprojekt“ wird es genannt, denn bei Erfolg soll das Konzept auch auf andere Kommunen übertragen werden.

In der Sanierung stecken enorme Mühen, viel Geduld und 426.000€. Der monetäre Grundstock erfolgte aus einer Mischfinanzierung durch das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes
Nordrhein-Westfalen, die Stadt Nieheim und StadtBauKulturNRW. Hinzu kommen verschiedene Spenden und es sollen noch weitere Fördergelder folgen. Dieser Aufwand wird betrieben, weil man von einem win-win-Ergebnis ausgeht. Die Stadt erhält aus einem alten Raum, der von Leerstand und Verfall bedroht ist, einen neuen Raum, der für gemeinschaftliche Zwecke genutzt werden kann und die „neuen Nieheimer“, wie die Geflüchteten vor Ort zum Teil genannt werden, bekommen eine Bleibeperspektive. Die Idee klingt einwandfrei, bei der Umsetzung des Projekts entstehen jedoch eine Vielzahl an kleinen und größeren Spannungen, die es zu überwinden gilt, um diese Idee zu realisieren. Die Bedeutung und die Hindernisse des Projektes möchte ich einmal aus der Warte der Flüchtlinge und einmal aus der Sicht der Stadt Nieheim beleuchten.

Nach §43 des Aufenthaltsgesetzes wird die Integration von anerkannten Asylanten „gefördert und gefordert“. Das Integrationsprogramm verpflichtet u. A. zur Teilnahme an einem Sprachkurs. Aus diesem Umstand ergab sich bei den „Heimatwerkern“ das Problem, dass die anerkannten Flüchtlinge aufgrund ihrer Sprachkurse keine Zeit mehr hatten, sich am Bau zu beteiligen. Dies bedeutet, dass der Bau verstärkt von abschiebungsbedrohten Flüchtlingen vollzogen wird und somit keine Sicherheit darüber herrscht, ob und wie lange ein Arbeits-Team zusammenbleiben darf. Aus diesem strukturellen Problem ergab sich dann ein operatives Problem, denn der Baufortschritt hängt zwar von guter Teamarbeit, aber auch immer wieder stark von Einzelfällen ab.

Beispielsweise von dem Armenier „E.“, der als einer der Wenigen über Handwerkskompetenzen verfügt und ein wichtiger Koordinator und sozialer Akteur auf der Baustelle ist. Aufgrund seines Herkunftslandes, ist er jedoch stark von Abschiebung bedroht und hat mit seinen über 60 Jahren auch keine Chance einen Ausbildungsplatz zu bekommen, der ihm die Bleibe sichern könnte. Sein Fortgehen wäre ein sehr großer Verlust für das Projekt und alle Bau-Beteiligten.

Jeder nimmt aus seinem Herkunftsland andere Erfahrungen, Werte und Lebensweisen mit. Bei einem interkulturellen Zusammenwirken dieser Art, darf man sich den Bau nicht im klassischen Sinne vorstellen. Am wichtigsten sind demnach weder maximale Arbeitsgeschwindigkeit noch deutsche Pünktlichkeit, sondern ein respektvoller achtsamer Umgang miteinander. Insbesondere auf die individuellen Biographien muss Rücksicht genommen werden. Ein Risiko von Interkulturalität ist jedoch die Formation von weniger integrationswilligen Kreisen. In manchen Ländern wird Bauarbeit als niederste Arbeit angesehen, sodass sich manche Flüchtlinge, nach kurzer Zeit weigerten, das Haus mit zu sanieren.

Eine weitere Herausforderung stellt die Integration der geflüchteten Frauen dar. Diese nahmen nach kurzer Zeit, kaum noch am sozialen Geschehen der Stadt teil. Um die Frauen in den Heimatwerker-Alltag einzubinden, wurde von der Hochschule-OWL die Maßnahme ergriffen, regelmäßig gemeinsame Textilworkshops anzubieten.
Zu solchen Zwecken können, trotz Baustelle, bereits manche Räume genutzt werden. Eine weitere Idee wäre einen sogenannten „Tambour-Ofen“ einzubauen, der in fast jedem der Flüchtlings-Herkunftsländer zum Einsatz kommt und dort traditionellerweise von den Frauen zum Backen genutzt wird.

Die Ziele des Projektes betreffen jedoch nicht nur die direkten Bau-Beteiligten. Geflüchtete findet man über das ganze Land verteilt und fachliche Bauleiter und Leerstände gibt es auch nicht nur in Nieheim.
Wenn man also „lediglich“ daran interessiert wäre, was passiert und entsteht, wenn man gemeinschaftlich mit Flüchtlingen ein Haus saniert, hätten die „Heimatwerker“ auch einen anderen Standort wählen können. Doch es war von Bedeutung, dass ein integratives Projekt wie dieses, im ländlichen Raum und zwar im ländlichen Raum „Nieheim“ initiiert wird.

Der gesamte Kreis Höxter leidet unter dem demographischen Wandel. Nieheim stellt da keine Ausnahme dar und kämpft mit sinkenden Bevölkerungszahlen und steigendem Durchschnittsalter. Die Innenstadt ist zu großen Teilen von Leerstand betroffen und neben den Nieheimer Holztagen und dem Nieheimer Käse herrscht zu wenig Attraktions-Angebot. Der Ort verfügt zwar über ein sehr schönes, von Fachwerkhäusern geprägtes Stadtbild und über hübsche alte Wegesysteme, doch die eingeschränkte Erreichbarkeit erschwert es, diese Schönheit für z.B. touristische Zwecke nutzbarer zu machen. Die Stadt ist aufgrund der geballten Existenz von wachstumshemmenden Faktoren, von der allgemeinen Entwicklung abgehängt. Für Nieheim stellt dieses Projekt also einen kleinen Versuch dar, diesem zunehmenden Isolationsprozess entgegenzuwirken und den Ort wieder attraktiver für junge Menschen zu gestalten. Man erhofft sich eine dynamische Strahlkraft auf das Umfeld, welche die Menschen wieder in die Innenstadt lockt. Zudem sollen, durch diesen Ort des Austausches und der Kommunikation, Vorurteile abgebaut werden und die Menschen zueinander geführt und stärker vereint werden.

Nieheim setzt mit den „Heimatwerkern“ ein Zeichen, dass innovative Konzepte für mehr Gemeinschaft und Gemeinwohl auch auf dem Land umsetzbar sind. Inwieweit das Projekt Erfolg haben wird, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht voraussagen. Aber was ist schon Erfolg? Jede Stunde in sinnvoller gemeinsamer Tätigkeit, ist bereits gewonnene Zeit. Dort untätig zu bleiben hätte bedeutet, dass ein kulturelles Erbe verfällt und eine einzigartige Chance verpasst worden wäre, einen physischen und psychischen Mehrwert für die Gemeinschaft aufzubauen. Es wird sich also, unabhängig von dem Grad des Erfolges, gelohnt haben Mühen, Geduld und Geld zu investieren.

Ich hoffe, dass die Heimatwerker mit ihrem neuen Haus viele Menschen erreichen und inspirieren werden und freue mich darauf sie erneut zu besuchen, wenn der Umbau vollbracht ist!
Vielleicht habe ich bis dahin auch einen weniger komplizierten Anfahrtsweg gefunden.

Carlotta Tonveronachi

Vielen Dank an Dr. Pump-Uhlmann, Vorsitzender der Heimatwerker e.V., für ein sehr informatives Telefonat! Vielen Dank auch an Alexandre Gebara, Bauleiter und Herz der Baustelle, für seinen Einblick ins Geschehen und eine Führung durch das Gelände!